Sonntag, 7. August 2011

Predigt beim Requiem für H.H. Pfarrer Markus Kellenberger, gehalten von S.E. Erzbischof Wolfgang Haas

Predigt beim Requiem
für H.H. Pfarrer Markus Kellenberger am 5. August 2011
in der Kathedrale von Vaduz, gehalten von S.E. Erzbischof Wolfgang Haas
Liebe Mitbrüder im Priester- und Diakonenamt!
Liebe trauernde Angehörige, Freunde und Wohltäter unseres verstorbenen Priesters Markus Kellenberger!
Liebe Trauergemeinde!
Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!

„Am 1. August 2011 gegen 15:00, beabsichtige ein Wanderer von der Cabane Terre Rouge aus, einen zweistündigen Marsch zur Pointe du Parc (2700 m. ü. M.) zu unternehmen. Als der Mann um 20:30 noch nicht von seiner Wanderung zurück war, löste eine Bekannte über die Nummer 144 einen Alarm aus. Ein Helikopter der Air Glaciers wurde für einen Suchflug aufgeboten. Der leblose Mann wurde um 21:58 gefunden. Nach ersten Erkenntnissen machte der Wanderer aus noch nicht bekannten Gründen einen Sturz von ungefähr 150 Metern. Beim Opfer handelt es sich um einen 43-jährigen Schweizer.“ So lautete die wie üblich nüchtern und sachlich gehaltene offizielle Mitteilung der Walliser Kantonspolizei. Der Name des Mannes wird in der polizeilichen Bekanntgabe des tödlich verlaufenen Bergunfalls nicht genannt.
Wir alle aber, die wir uns hier versammelt haben, und viele, die mit uns in diesen Tagen verbunden sind, kennen nicht nur den Namen dieses Mannes, sondern kennen ihn auch persönlich. Wir haben Markus Kellenberger, der am 3. Februar 1968 im aargauischen Menziken geboren wurde, kennengelernt als einen lebensbejahenden, lebenstüchtigen, lebensfrohen Menschen; wir haben seinen stets freundlichen Umgang, seine heitere Wesensart, seine gediegene Bildung, seinen sportlichen Elan, seinen seelsorglichen Eifer, seinen missionarischen Schwung und seine priesterliche Haltung kennen und schätzen gelernt. Ja, wir alle haben ihn als Mensch und Priester mit seinen vielfältigen Begabungen und seinen vielseitigen Interessen sehr geschätzt und geliebt, und wir schätzen und lieben ihn dankbaren Herzens auch über den Tod hinaus, der ja nach unserer christlichen Glaubensüberzeugung nicht das Ende, sondern der Anfang eines neuen Lebens ist. Bei allem tiefempfundenen Schmerz über den völlig unerwarteten und letztlich unerklärlichen frühen Heimgang unseres vielgeliebten Priesters Markus hegen wir in unseren Herzen Gefühle der Dankbarkeit, der Zuneigung, der Hoffnung und der Zuversicht. Wir glauben daran, dass Markus, der nach Gottes unerforschlichem Ratschluss so überraschend schnell in die Ewigkeit eingegangen ist, vom Herrn über Leben und Tod eine neue Aufgabe erhalten hat: Er darf uns gewiss – ins Geheimnis des ewigen Lebens entzogen – auf neue Weise wirksam nahe sein. Er, der Priester auf ewig ist, wird uns – so hoffen und beten wir inständig – von der ewigen Heimat her helfen, dass wir unseren eigenen Lebensweg nach Gottes heiligem Willen ausrichten und schliesslich zu der von Gott gesetzten Stunde selber die Schwelle des Todes wohlvorbereitet überschreiten. Gott allein kennt jeden Menschen durch und durch; nur er kennt jeden Menschen voll und ganz. Für uns ist kein Mensch so bekannt und so anerkannt, wie er es für den Schöpfer und Erlöser des Menschen ist. Ja, wir selbst sind uns nicht einmal so vollständig bekannt, wie Gott uns kennt. Er weiss alles, er sieht alles, er hört alles, er versteht alles. Das mag für nicht wenige von uns eine bedrohliche Seite haben; denn wer von uns möchte schon durch und durch, voll und ganz, immer und überall gekannt und erkannt sein. Die tröstliche Seite dieser Tatsache besteht aber darin, dass wir als von Gott ganz Erkannte und Anerkannte auch ganz von ihm Geliebte sind. Wir dürfen uns geborgen wissen in der barmherzigen Liebe dessen, der zugleich vollkommen gerecht und reich an Erbarmen ist. Diesem unserem gerechten und barmherzigen Vater im Himmel, der die Liebe ist, empfehlen wir die unsterbliche Seele unseres lieben Heimgegangenen, des Priesters Markus Kellenberger. Allen, die um ihn trauern, spreche ich – auch im Namen meiner hier anwesenden Mitbrüder im Priester- und Diakonenamt – mein herzliches Beileid aus und schliesse sie in mein Gebet und ins heilige Messopfer ein.
Schon kurz nach Beginn seines Heimaturlaubs hat mich Padre Markus, wie er in der Anden-Gegend genannt wird, besucht, um mir in einer Powerpoint-Präsentation sein missionarisches Wirken in lebhafter Schilderung näherhin vorzustellen und zu erläutern. Er sprach mit Herzblut von Land und Leuten des bolivianischen Hochlandes, von seinen bereits realisierten und noch zu realisierenden Projekten in den dortigen recht extremen pastoralen Verhältnissen.
Bei dieser optisch so eindrucksvollen Vorstellung unterschlug er mir einige Bilder, die ich später dann doch noch zu sehen bekam. Es waren spassige Fotos, unter denen sich ein Bild befand, das sich mir – ich weiss nicht genau warum – besonders einprägte. Ich sehe diese Aufnahme noch jetzt geistig vor mir. Markus schneidet – blumenbekränzt – eine Grimasse, die ihn beinahe unkenntlich macht. So habe ich ihn sonst nie gesehen oder erlebt. Er war ja, so wie ich ihn kannte, nicht der ausgelassene Spassvogel, der ungestüme Possenreisser, der unkontrollierte Gefühlsmensch. Im Rückblick auf dieses Bild, das fast so etwas wie einen anderen Markus aufscheinen liess, kam mir, nachdem ich von seinem todbringenden Sturz in die Tiefe erfahren hatte, spontan ein Wort aus dem ersten Korintherbrief des Völkerapostel Paulus in den Sinn: „Verschlungen ist der Tod vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ (1 Kor 15, 54-55). Die für Markus eigentlich so untypische Grimasse kann im Nachhinein nun wie eine Art Siegeserklärung gedeutet werden. Wer schon auf dem irdischen Pilgerweg hingebungsvoll und froh in Gott lebt und am Leben Gottes Anteil hat, der fürchtet sich nicht vor der Realität der diesseitigen Vergänglichkeit; er weiss vielmehr, dass der Tod von jenem Sieg verschlungen ist, den der Sohn Gottes für uns errungen hat. Da sind Heiterkeit und Lachen ein Zeichen des Sieges und der Hoffnung. Von daher lässt sich auch verstehen, was Paulus an die Römer schreibt: „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? All das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat“ (Röm 8, 35.37). Der Absturz in die Tiefe war zwar todbringend für das diesseitige Leben, wurde jedoch gleichzeitig zum Sieg über den Tod.
Den, der uns geliebt hat, Jesus Christus, hat Markus Kellenberger durch eine besondere Mitwirkung Marias, der Mutter des Herrn, in der Tiefe seines Herzens erfahren dürfen. Der Herr hat ihn in seinem Leben geführt und begleitet, er hat ihn berufen und erwählt. Ich erinnere mich noch gern und gut daran: Bei einer Jugendwallfahrt nach Fatima begaben wir uns eines Tages an den Meeresstrand des Atlantik. In einem längeren Gespräch entlang der Küste sprachen Markus und ich über Gott und die Welt. Markus stand vor grossen und wichtigen Entscheidungen. Der begabte junge Mann – für nicht wenige der Liebling der Gruppe – stand gleichsam am Scheideweg. Wer hätte damals je gedacht, dass er einmal jenseits des Atlantiks im fernen Südamerika seine Berufung und Sendung zum Priestertum als Missionar fortsetzen würde. Bei unserem Gespräch am portugisischen Ufer des weiten Meeres musste ich an den Prolog der Bekenntnisse des heiligen Augustinus denken, wo es heisst: „Gross bist du, Herr, und überaus lobwürdig; gross ist deine Stärke und unermesslich deine Weisheit. Und loben will dich der Mensch, der selbst ein Teilchen deiner Schöpfung ist, der Mensch, der seine Sterblichkeit mit sich herumträgt und in ihr das Zeugnis seiner Sündhaftigkeit und das Zeugnis, dass du den Stolzen widerstehst. Und dennoch will er dich loben, der Mensch, der selbst ein Teilchen deiner Schöpfung ist. Du treibst uns an, so dass wir mit Freuden dich loben, denn du hast uns auf dich hin geschaffen, und ruhelos ist unser Herz, bis es ruhet in dir“
(Augustinus, conf. 1,1,1). Dieses heilsam unruhige Herz liess Markus, den jungen Diplomingenieur, welchem gewiss eine vielversprechende weltliche Laufbahn winkte, erkennen, dass die Zeit gekommen war, den Weg zum Priestertum zu beschreiten. So entschloss er sich 1993 in das für die Priesteramtskandidaten des Bistums Chur eingerichtete Vorbereitungsjahr „Lauretanum“ in Zizers einzutreten und absolvierte anschliessend von 1994 bis 1999 seine philosophisch-theologischen Studien in Chur und während des Freijahres in Rom. Sowohl im Churer Priesterseminar St. Luzi als auch im Irischen Kolleg in Rom führte der vom Sportleben her Disziplin gewohnte Priesteramtskandidat ein geordnetes Leben, geprägt von einer gesunden Frömmigkeit und einer zielgerichteten Strebsamkeit. Seine grosse Einsatzfreude in der Seminargemeinschaft ist allen bekannt, die mit ihm das Seminarleben teilten und von denen heute nicht wenige anwesend sind. Zusammen mit Markus Degen und Pirmin Zinsli, die bekanntlich beide in unserem Erzbistum tätig sind, empfing Markus am 11. Juli 1999 in der Pfarrkirche von Triesenberg die Diakonatsweihe und ebenda am 13. November 1999 die Priesterweihe. Das Pastoraljahr verbrachte er in der bündnerischen Pfarrei Schmitten, wo er dann vom Dezember 1999 bis Ende August 2000 als Vikar tatkräftig wirkte. Als ich ihn für die Pfarrei Triesen als Pfarrer ausersah, fiel ihm der Abschied aus dem bergigen Albulatal wahrlich nicht leicht. Gerne wäre er länger dort geblieben, auch wenn in seinem Herzen gewiss schon der Ruf zu einem missionarischen Einsatz schlummerte. In priesterlichem Gehorsam nahm Markus aber die Wahl und Ernennung zum Pfarrer von Triesen an, ebenso später diejenige zum Dompfarrer in Vaduz, wo er vom 1. August 2004 bis 31. Juli 2008 seelsorglich wirkte, um dann schliesslich auf eigenen Wunsch hin für die Missionstätigkeit in Südamerika freigestellt zu werden. In der bolivianischen Diözese Potosí diente Pfarrer Markus Kellenberger als Missionar mit grosser Hingabe sowie in treuem und standhaftem Glauben den seiner Seelsorge anvertrauten Menschen, wie er dies in den beinahe 12 Priesterjahren überall getan hat.
Wenn unserer Todesanzeige das Psalmwort vorangestellt wurde: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“ (Ps 121, 1-2), dann soll damit auf einen Wesenszug des Verstorbenen verwiesen sein. Markus Kellenberger hegte eine grosse Leidenschaft für die Bergwelt. An seinem ersten priesterlichen Wirkungsort in Schmitten hob er gewissermassen täglich seine Augen auf zu den majestätischen Bergen des von ihm so geliebten Bündnerlandes. Immer wieder und an vielen Orten dieser Welt hat er seine Augen auf die Bergeshöhen gerichtet; deren Gipfel zogen ihn beinahe magnetisch an, so dass er – sportlich trainiert, wie er es war – immer wieder zu den Bergeshöhen aufstieg, um von dort aus jene Weitsicht zu erleben, die auch ein Gleichnis für einen geistigen Weitblick darstellt. Zum letzten Mal hob er seine Augen auf zu den Bergen an seinem Urlaubsort im Wallis. Der Aufstieg – oder war es der Abstieg (wer weiss es ausser Gott genau) – endete mit dem Absturz in die Tiefe. Die Frage: „Woher kommt mir Hilfe?“ findet im erwähnten Psalmwort sogleich die Antwort: „Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“. Ja, die Hilfe kommt immer vom Herrn: vom Herrn über Leben und Tod; vom Herrn, der den Aufstieg und den Abstieg kennt; vom Herrn, in dem wir leben, uns bewegen und sind; vom Herrn, dem wir gehören, ob wir leben oder ob wir sterben. „Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn“ (Röm 14, 8). Unser Glaube sagt uns – und das lässt uns alle unsere Augen zu den Bergen erheben –: „Christus ist gestorben und lebendig geworden, um Herr zu sein über Tote und Lebende. Wir werden alle vor dem Richterstuhl Gottes stehen. Denn es heisst in der Schrift: So war ich lebe, spricht der Herr, vor mir wird jedes Knie sich beugen und jede Zunge wird Gott preisen. Also wird jeder von uns vor Gott Rechenschaft über sich selbst ablegen“ (Röm 14, 9.10c-12). Der Aufblick zu den Bergen ist mehr als ein optischer Vorgang; er ist ein Gleichnis für unser Erdenleben. Wir alle sollen wie Markus aufschauen – noch weit über alle Bergeshöhen hinaus – zu dem, der über allem ist. Also: Empor die Augen zu Gott! Empor die Herzen zu unserem Schöpfer und Erlöser! Unser lieber Priester Markus, dessen unruhiges Herz ihn ständig auf Gott hin gelenkt hat, ruhe nun in Gottes ewigem Frieden.

Amen.

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